Jil Sander hat durch die Gestaltung ihrer einzigartigen, puristischen Kollektionen eine außergewöhnliche Leistung im Designkontext erbracht. Ihrer Zeit weit voraus hat sie stilbildend und gleichzeitig provokativ gearbeitet. Mit ihrer klaren Vorstellung was Mode ist und sein sollte, perfekt umgesetzt und kommerziell erfolgreich vermarktet, prägt sie seit Jahrzehnten die Branche. Darüber hinaus hat sie durch eine konsequente Markenführung ihren eigenen Namen in eine weltweit bekannte und erfolgreiche Marke gewandelt. Nachfolgend ein Interview von Michael Eibes mit Jil Sander aus dem Jahr 2012, das einen Einblick in ihr Schaffen gibt.
Sie bezeichnen Ihren Stil gerne als puristisch. Was verstehen Sie darunter?
Vielleicht meinte ich einfach, dass ich es mir nie leicht gemacht habe, damit diejenigen, die mein Design tragen, es um so leichter haben. Die Entwürfe sollen auf den Punkt stimmen,in Material, Komfort, Schnitt, Proportion und Modernität, so dass der Kunde sich morgens vor dem Kleiderschrank auf sie verlassen kann.
Was inspiriert Sie?
Das kann ich selten im Einzelnen sagen, ich lebe im Jetzt und nehme alles auf, das Gute und das, was uns besorgt macht. Wenn ich arbeite, reagiere ich mit meinen Entscheidungen auf dieses Zeitgefühl. Man darf nicht vergessen, dass ich schon lange im Beruf bin und das Entwerfen nie von Null anfängt. Kunst und Architektur spielen immer eine Rolle.
Wann sind Sie zufrieden mit Ihrer Arbeit?
Dieser Augenblick stellt sich irgendwann im Fitting ein. Der letzte Schritt des Designs findet an der dreidimensionalen Form statt, dort wird der Entwurf oft noch mehrfach überarbeitet. Hier geht es um Proportion, exakten Sitz und um die Dynamik des Kleidungsstücks im dreidimensionalen Raum. Was sind die schönsten Momente in Ihrem Berufsleben? Es gibt viele beglückende Momente, weil ich mit Menschen zusammenarbeite, die mich verstehen und beflügeln. Besonders genieße ich die Atempausen zwischen den Kollektionen, sie gehören auch zum Beruf, zur Regeneration. Aber der Augenblick nach dem Defilee ist etwas Besonderes. Nachdem man so lange für sich allein tätig war, ist das Ergebnis plötzlich für alle da. Und ich freue mich immer, wenn jemand Jil Sander trägt.
Was ist das für ein Gefühl seinem eigenen Namen in der Form einer weltweit bekannten Marke zu begegnen?
Die Entwicklung zur internationalen Marke hat sich ja nicht von einem Tag auf den anderen ergeben. Jeder Schritt war folgerichtig und mit jedem ist die Verantwortung gestiegen. Das Gefühl für die Verantwortung und die Vision sind das, was mich am stärksten mit der Marke verbindet. Mein Name steht für eine Ästhetik, die ich in die Zukunft retten möchte.
Wie sehen Sie die Zukunft der großen Modehäuser?
Im Moment sieht es so aus, als hätten die großen Häuser die Zukunft nicht zu fürchten, sie haben globales Standing und einen großen Wiedererkennungswert. Ich glaube aber, dass ihr Erfolg nicht zuletzt von der Fähigkeit abhängt, sich zu erneuern und anspruchsvolle Mode für die Gegenwart zu entwerfen.
Wie stellen Sie sich die Zukunft des Unternehmens Jil Sander vor?
Jil Sander wird sich weiter den Herausforderungen des Zeitgeists stellen und mit den Kollektionen ästhetische und qualitative Bedürfnisse antizipieren. Die Marke wird auch wachsen, aber organisch, Schritt für Schritt, wie sie es gelernt hat.
Wenn Sie noch einmal 40 Jahre zurückgehen könnten, was würden Sie anders machen?
Es gibt ein paar Dinge, die ich heute anders machen würde. Aber im Großen und Ganzen gehören die Irrwege dazu, und wenn ich rückwirkend Weichen umstellen würde, würde es auch wichtige Lernprozesse nicht geben, und am Ende waren sie sehr wichtig.