Wenn die ganze Welt wie Ryan Air wird, dann brauchen wir über Design nicht mehr weiter zu diskutieren.
Eine Betrachtung der Lage des Designs von Prof. Dr. Klaus Klemp.
Am Anfang einer solchen Flugreise begegnet einem in der Werbung das übliche Schnäppchen-Versprechen. Flüge für 20 oder 30 Euro. Da kommt dann noch ein wenig Steuer hinzu. Koffer? 15 kg für 30 Euro im Internet, am Flughafen für 100 Euro. Ein Kilo zu viel beim Einchecken macht weitere 20 Euro. Wer sich auf das Internet-Boarding einlässt gerät schnell in eine hübsche kleine Falle. Da kann man scheinbar attraktive Plätze vor dem Notausgang buchen. Beim Ende des Durchgangs sind es dann aber Sonderplätze und die kosten zusätzlich 30 Euro. Und angeboten wird noch mehr: Parkplätze, Mietwagen, Koffer und Taschen. An Bord geht der Handel weiter. Zunächst gibt es Lotterielose im Sonderangebot, 7 Stück für 10 Euro. Nächstes Sonderangebot: Cappuccino mit Shortbread, 4 Euro. Bloß nicht in den Becher schauen, grau-braune Pulverkaffee-Brühe. Warmes gibt es auch gegen Cash: Pommes, Hamburger, Hot dogs und jede Menge Süßigkeiten. Nach einer längeren Einleitung, dass hier, ebenso wie in Theatern und Restaurants, nicht geraucht wird, werden zwei Zigarettensorten zum Kauf angeboten. Und dann kommt das Wägelchen mit dem duty free. Das war es dann mit dem Service für 2 1/2 Stunden Flug: „The Getaway Café, Amazing Cappuccino“, steht auf dem Pappbecher. Und der Sitznachbar trägt stilecht Trainingsanzug. End of design wäre das. Aber solange es keine gescheiten, funktionierenden Milchverpackungen gibt, glaube ich nicht an das Ende der Anspruchsgrundlage der Gestaltungsmoderne.
Designausbildung
Das einzige Ergebnis zum Thema „Zur Lage des Designs“ in Google verweist auf die Deutsche Universitätszeitung vom 18. Februar 1991: „Experten-Votum zur Lage des Design und seiner Ausbildung.“ Da wären wir, um dem genius loci gerecht zu werden, dann schon beim Thema, wenn es denn irgendwie besser werden soll und sich nicht der Satz des sowjetischen Langzeitregierungschefs der 90er Jahre, Viktor Tschernomyrdin, abermals bestätigte: „Wir wollten, dass es besser wird. Geworden ist es wie immer.“
Der Unterricht in Designtheorie und Designgeschichte wird gegenwärtig in Deutschland allerorten gekürzt. In Wuppertal und Weimar („Bauhausuniversität“!), in Saarbrücken und auf Burg Giebichenstein werden die bisherigen Stellen nicht wiederbesetzt. Es ist bemerkenswert, dass die Postmoderne, die sich doch so geschichtsorientiert gab und der angeblich a-historischen Nachkriegszeit im Design als Korrektiv entgegentreten wollte, so wenig historisches Bewusstsein zum eigenen Fach hinterlassen hat.
Ziel eines designtheoretischen und designhistorischen Unterrichts für Designstudierende muss aber die Erlangung von theoretischem Orientierungs- und Fachwissen sein, um überhaupt reflektiert-kritisch an Designprozessen teilnehmen zu können. Dazu gehören die Verbreiterung designhistorischer und kultureller Bildung während des Studiums; dies im Sinne einer Perspektiverweiterung für einen lebenslangen Prozess und in strukturierter Form. Dazu gehört auch die Herstellung von Navigationsfähigkeit in der Wissensgenerierung und im Umgang mit selbst als relevant erkannten Theorien. Und schließlich ist die Entwicklung einer eigenen Gestaltungshaltung und die Ausbildung einer Designethik Voraussetzung für jede praktische Tätigkeit im Design. Dino Gavina (1922-2007), italienischer Designer, Unternehmer und Art Director hatte mit 83 Jahre für sich die Erkenntnis gefunden „Ohne eine fundierte humanistische Bildung und die Beschäftigung mit Geschichte, Kunst und Literatur ist gutes Design gar nicht denkbar.“
Designbegriff
Der Begriff Design ist inflationiert und in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr vom Marketing besetzt worden. Die Popularisierung von Designern und Designerinnen, welche die Postmoderne im Design ebenso wie in der Architektur befördert hat – der Stardesigner und der Stararchitekt – ist von den Verkäufern dankbar aufgenommen und instrumentalisiert worden: das Designersofa im Möbelhaus, der Designcomputer beim Discounter oder die zerrissene Designerjeans für 300 Euro. Der Begriff Design ist in die Banalität abgerutscht und zur „ubiquitären, zur allgegenwärtigen Ausnahme“ geworden.
Dabei ist die heutige Verwendung des Begriffs Design zumeist genau das Gegenteil von dem, worum es den Protagonisten der Gestaltungsmoderne einmal ging, nämlich um die zeitgemäße und in aller Bedeutungsbreite ‚funktionierende’ Gestaltung unserer dinglichen Lebenswelten und visuellen Kommunikationsmedien oder wie Walter Gropius es 1926 für die Bauhausproduktion benannte: „Ein Ding … soll seinem Zweck vollendet dienen, das heißt, seine Funktion praktisch erfüllen, haltbar, billig und ‚schön’ sein.
Dabei ging es hauptsächlich um die Alltagswelt, um das Wohnen mit all seinen Notwendigkeiten und Accessoires, um den Arbeitsplatz, um die Transportmittel, die Gemeinschaftseinrichtungen oder die Verwendung von Schrift und Bild. Es ging darum, eine bessere Gesellschaft auch durch ein besseres Design zu ermöglichen. Dieser Prozess geht nie zu Ende, weil sich auch die Paradigmen von Gesellschaft ständig verändern. Das nennt man dann wohl Politik, wobei man heute nach einer Designpolitik lange suchen kann ohne sie zu finden.
Designpolitik
Das war im 20. Jahrhundert durchaus anders. Im Verlauf der nun rund 150 jährigen Geschichte unseres Fachs ist die Frage nach einer vernunftorientierten Verwendung der Gegenstände immer wieder aufgetaucht. Gottfried Semper hat schon zur Mitte des 19. Jahrhunderts schlüssige Überlegungen zur Materialgerechtigkeit und visuellen Stimmigkeit von Produkten angestellt und auch William Morris ging es um Qualität und Haltbarkeit, wenn er dabei auch die neuen industriellen Produktionsbedingungen ignorierte und sein gestalterisches Interesse eher auf die Vergangenheit als auf die Zukunft richtete. Aber damit war eine Diskussion über die Qualität von Gestaltung eröffnet, die das gesamte 20. Jahrhundert bestimmen sollte. Über die Werkbundgründung 1907 und den 1914 ausgetragenen Streit über Typisierung zwischen Muthesius und van de Velde bis hin zur Bauhausgründung und den architektonischen Reformprojekten in Berlin, Frankfurt, Magdeburg, Breslau oder Stuttgart war das erste Drittel des Jahrhunderts von der Suche nach der neuen Form, die auch eine haltbare und funktionale Form sein sollte, bestimmt.
Nun ist es leicht zu sagen, wir brauchen wieder sinnvolle, langlebige kurzum gute Produkte und eine die kommunikative Rationalität befördernde Informationsvermittlung. Nur wie soll das in einer konsumzentrierten – ja ich sage zentrierten, nicht nur orientierten – Gesellschaft passieren?
Für mich hat da immer noch das bislang unerfüllte Dictum „Weniger aber besser“ von Dieter Rams Gültigkeit. Weniger Konsum und dafür bessere – nicht aber überteuerte – Produkte zu erwerben ist eine finanzielles Nullsummenspiel für die Verbraucher und hält die Wirtschaft trotzdem in Schwung, weil ja gleich viel Geld ausgegeben wird. Vielleicht sollten Politiker in ihren Konsumaufrufen endlich einmal differenzieren und nicht immer nur von einer notwendigen Nachfrage sprechen, sondern von einer „sinnvollen“ Nachfrage.
Designtheorie
Hilft uns dabei eine Theorie zum Design? Theorien zur Gestaltung der Dinge finden sich zahlreich. Von den ‚elastischen Diskursen‘ aus Köln, das allgegenwärtige Aufzeigen von Abhängigkeiten, Referenzen und Problemverschiebungen über die verschiedenen iconic, linguistic oder semantic turns, einen scheinbaren Neo-Funktionalismus einerseits und Bricolage-Konzepte andererseits bis zur neuesten RLF-Ideologie oder besser gesagt zum Ideologie-Unterhaltungsroman mit sarkastischen Marketingambitionen eines Friedrich von Borries reicht das Angebot.
Dass es unzählige Designtheorien gibt ist nicht zu bestreiten, Google weist zu dem Begriff allein über 40.000 Einträge auf. Die Frage ist, ob wir sie auch benötigen. All diese Theorien haben uns jedenfalls bislang wenig weitergeholfen.
Ich denke, wir müssen vielmehr eine neue Haltung zu den Dingen entwickeln und den Begriff Design entmystifizieren. Gute Gestaltung muss das Normale werden und das Normale muss gut werden. Stand am Beginn der Moderne die Versorgung aller mit Dingen des täglichen Bedarfs, so steht heute die Reduzierung des Machbaren auf das Sinnvolle im Mittelpunkt. Dabei behält das Wort des Bauhausmeisters Laszlo Moholy-Nagy seine Gültigkeit: „Nicht das Objekt, der Mensch ist das Ziel.“ Dabei hilft auch ein Blick über den nationalen Tellerrand. Zu anderen Ländern sei hier nur ein Beispiel aus der Ausstellung Tokyo ADC Award genannt, die bis zum 17. August 2014 im Museum Angewandte Kunst Frankfurt zu sehen ist. Den Grand Prix in Japan erhielt eine Ausstellung des Designmuseums 21_21 DESIGN SIGHT in Tokio über eine sehr populäre Fernsehserie des öffentlich rechtlichen Fernsehs für Kinder, die der Grafikdesigner Taku SATOH leitet und die Kindern aber auch Erwachsenen eine größere Kenntnis und ein größeres Bewusstsein zur Gestaltung vermittelt. Dies zu den Alltagsdingen ebenso wie zur raffinierten japanischen Ästhetik. Dagegen führt uns „Deutschland sucht den Superstar“ nicht wirklich weiter. Die Fernsehgeräte werden immer besser und größer, aber die Programme immer schlechter – so scheint es mir jedenfalls.
Beim Tokyo ADC sind auch Plakate zu besichtigen, die Komplexität reduzieren, von großer Klarheit und Einfachheit sind und oft jahrelang verwendet werden. Ein langlebiges Design wird das Design der Zukunft sein. Globalisierung heißt ja auch, dass in den nächsten Jahren rund 3 Milliarden Menschen der sogenannten BRICS Staaten, also Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika als „Vollkonsumenten“ die vorhandenen Ressourcen in Anspruch nehmen werden. Wer ein wenig nachdenkt, dem muss klar sein, dass sich in unserer Einstellung zu den Dingen etwas ändern muss.
Resümee
Bei alledem geht es nicht um erhobene Zeigefinger, den kollektiven Zwang zur Birkenstock-Sandale oder ums Spaßverderben. Es geht nicht um ein ärmeres, sondern um ein reicheres Leben, das sich durch einen Abbau von Kompliziertheit ergeben könnte. Die Stellschrauben sind dabei der Umgang mit dem Materiellen und mit den Mitmenschen, die Verschiebung vom Ego und von der gedankenlosen Quantität des Konsums hin zur Qualität des Lebens für alle. Die Gestaltung von langlebigen Produkten mit denen man seinen Spaß haben kann wäre in dieser Hinsicht ziemlich erstrebenswert.
So stellt sich die Frage nach der Lage des Designs als Frage nach den Ressourcen dar, nach den materiellen ebenso wie nach den intellektuellen. Eine Hochschule für Gestaltung und Designtage wie diese könnten dabei das gleiche ökonomische Ziel verfolgen wenn es hieße: „Wir haben den Umsatz erhöht und wir haben gleichzeitig die Anzahl der Dinge verringert.“ Ich bin gespannt.